Vom Eisberg zur Bibel

Mit Kinderspielzeug in die Sprachforschung

Sprachwissenschaftliche Ausbildung beim Seminar für Sprache und Kultur in Holzhausen

Kay-Helge Hercher Burbach-Holzhausen | Wer eine fremde Sprache erforschen will, braucht einen soliden Eisberg. Wozu und wie er entsteht, erfuhren die Teilnehmer der alljährlichen Sommerkurse beim Seminar für Sprache und Kultur in Burbach-Holzhausen. Aktuell fand neulich Einführung unter dem Titel „Spracharbeit im Überblick“ statt. Die Atmosphäre war hier allerdings alles andere als kühl: Dieser „Eisberg“, den jeder Sprachforscher benötigt, ist nämlich unabhängig von der Umgebungstemperatur. Er ist ein Bild für den Wortschatz, über den ein Mensch in einer Sprache verfügt. Die kleine Spitze über dem Wasser ist das, was angewendet wird.

Gepaukt wird nicht mit Vokabel-Listen und Verb-Tabellen, sondern mit Kinderspielzeug und Bildchen. Dorothea Stegen zum Beispiel, die 20 Jahre in Tansania und Kenia lebte und dort an einem Sprach-Projekt beteiligt war, stellte in der ersten Kurswoche eine Methode vor, mit der man relativ leicht jede x-beliebige Sprache lernen kann – ohne irgendeine Lehre über deren Grammatik oder Schrift. Als Beispiel diente ihr, wegen ihrer Tätigkeit in Ost-Afrika, die Sprache Swahili. Die Kursteilnehmer waren sichtlich erstaunt – mithilfe von Playmobil-Figuren hatten sie in weniger als einer halben Stunde bereits einen Wortschatz von mehr als 10 Begriffen aufgebaut. Ganz entscheidend: Dazu müssen sie noch nicht einmal die Sprache verstehen können, die sie lernen. Diese Methode ist geeignet, um Minderheitensprachen zu erlernen und diese später zu erforschen.

Dorothea Stegen, die 20 Jahre in Tansania und Kenia lebte, gab ihr Wissen weiter Fotos: Kay-Helge Hercher)

In der ersten Kurswoche füllt Sprachelernen aber nur wenige Plätze im Stundenplan. Begriffe wie Phonetik, Soziolinguistik, Bibelübersetzung und Semantik werden hier mit Informationen gefüllt. Es unterrichten Fachleute, die in internationalen Teams Minderheitssprachen erforschen oder erforscht haben. Die Teilnehmer lernen an echten Beispielen aus der Forschung. In manchen Fällen arbeiten Linguisten als Berater. Sie helfen aber auch dabei, Lehrer auszubilden, damit mehr Menschen in ihrer Muttersprache lesen und schreiben lernen können.

Es geht um Alphabetisierung. Wieder andere arbeiten im Bereich Bibelübersetzung. Denn sie sind überzeugt, dass gerade biblische Grundwerte geeignet sind, um Menschen langfristig eine neue Perspektive zu geben. Aktuell wird weltweit in 2217 Sprachen an Sprachforschung, Alphabetisierung und Bibelübersetzung gearbeitet. Bei dem Seminar bildeten sich in Holzhausen Menschen aus, die in solchen Projekten arbeiten oder generell an den unterschiedlichen Arbeitsbereichen der Sprachforschung und deren praktischer Anwendung in Leselernprogrammen und Bibelübersetzung interessiert sind. Das Seminar für Sprache und Kultur führt in die weltweite Arbeit von Wycliff Deutschland ein.

„Der Wycliff e.V. ist eine gemeinnützige, international tätige christliche Organisation. Wir sind Teil eines weltweiten Netzwerks mit den Schwerpunkten Sprachforschung, Alphabetisierung und Bibelübersetzung. Unser sprachwissenschaftliches Know-how stellen wir gerne ethnischen Minderheiten zur Verfügung. Unsere Mitarbeiter erforschen Sprachen, helfen bei Bedarf, eine geeignete Schrift zu finden und Schulunterricht in der Muttersprache im Land zu etablieren“, fasst Wycliff-Pressereferentin Ramona Eibach zusammen. Die Arbeit von Deutschland aus hat Tradition: In diesem Jahr feiert die Organisation in Holzhausen ihr 60-jähriges Bestehen. Derzeit zählt sie etwa 140 Mitarbeiter. Aber vielleicht wird der ein oder andere Teilnehmer der Sommerkurse bald dazu stoßen.

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